Josef Christian Aigner – Psychologe, Psychotherapeut und Psychoanalytiker studierte Psychologie und Pädagogik, heute ist er emeritierter Professor der Universität Innsbruck. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Vater- und Männerforschung, Sexualität und Bildungspolitik. Während seiner professionellen Karriere setzte sich Professor Aigner untere anderem gegen die Gewalt an Kindern ein, wofür er auch den Hans-Czermak-Preis erhielt.

Wie schätzen Sie die Qualität der Vertretung von ExpertInnen aus dem Bereich der Psychologie in den Medien, die Sie konsumieren?
Die Qualität psychologischer und psychosozialer ExpertInnen in Medien scheint mir sehr „wechselhaft“ zu sein. Aus fachlicher Sicht meint man manchmal, dass es sich bei vielen Aussagen um recht banale Plattitüden handelt, die ein/e halbwegs gebildete/r Nichtpsychologe/in auch feststellen hätte können.
Umgekehrt ist es nicht so einfach, komplexe Dinge allgemein verständlich auszudrücken (und das wird m.E. an den Unis auch zu wenig gelehrt). Manchmal beschleicht mich auch der Eindruck, dass – einmal interviewt – immer die gleichen ExpertInnen befragt werden („Platzhirschen und –innen“), hier besonders mit einer gewissen Wien-Lastigkeit, anstatt genauer zu recherchieren, wer wirklich zuständig sein könnte. Und es gibt ja schließlich – wie auch in anderen Fächern – „die“ Psychologie nicht, sondern eine breite Palette von Spezialrichtungen, die jeweils für ihr Gebiet stehen.
Heutzutage verfügen wir über eine unendliche Menge an Informationen. Wie soll man für sich die relevanten Nachrichten herauszufiltern, dabei Hoaxes und Verschwörungstheorien meiden und gleichzeitig nicht den ganzen Tag mit Recherchen verbringen?
Da kann ja vielleicht eine Plattform wie diese hier geplante helfen. Oder man hält sich an die relevanten seriösen Institutionen, um dort nach ExpertInnen zu fragen. In meiner Zeit an der Universität habe ich immer (aber eher erfolglos) dafür plädiert, bestimmte Kontaktpersonen pro Fach für die Öffentlichkeitsarbeit zu beauftragen, die dann entsprechende Kontakte zwischen JournalistInnen und WissenschaftlerInnen vermitteln können.
Verschwörungstheorien erkennt man oftmals am enthusiastischen, manchmal geradezu messianischen Einsatz für „totale“ Lösungen, die meist auch recht simpel und schwarz-weiß-denkend sind und auf alles eine einfache Antwort mit Freund-Feind-Spaltung anbieten. Jede/r gute JournalistIn wird so etwas leicht erkennen können.
Sie haben sich gegen Gewalt an Kindern auf professionaler Ebene eingesetzt. Wie hat sich die Situation diesbezüglich im Laufe der Jahre verändert? Zeigt sich ein negativer Trend im Zusammenhang mit der pandemischen Lage aktuell?
Ich denke schon, dass sich etwas geändert hat – aber zu wenig. Immer noch halten zu viele Menschen eine Ohrfeige, also einen Schlag ins Gesicht, für den man sich einem/er Erwachsenen gegenüber strafbar macht, Kindern gegenüber für „normal“. Ich halte diesbezüglich eine verstärkte Sensibilisierung v.a. über Elternbildung – wofür wir in Tirol eine eigene, sehr erfolgreich arbeitende Institution geschaffen haben – für unabdingbar und stark ausbaufähig. Mehreren MinisterInnen gegenüber haben wir eine Ausweitung des leidigen „Mutter-Kind-Passes“ zu einem „Eltern-Kind-Pass“ (der auch die Väter einbindet) vorgeschlagen, in dem auch die Teilnahme an entsprechenden Bildungs- und Sensibilisierungsprogrammen eingetragen und förderungsrelevant wirksam werden sollten. Leider wurde das von den meist konservativ besetzten AmtsträgerInnen nicht verstanden und als eine Art technische Lösung wie die eines „Elternführerscheins“ abgetan und abgelehnt. Aber Erziehung in einer immer komplexer werdenden Welt mit starkem Traditionsverlust (der ja auch seine guten Seiten hat) ist keine leichte Aufgabe heute, weshalb werdende Eltern darin besser unterstützt werden sollten.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten gesellschaftlichen Probleme in der Pandemie und welche Herausforderungen stehen unserer Gesellschaft nach der Kontrolle der Pandemie bevor?
Die größten Herausforderungen, vor denen ich für die Jüngeren und die kommenden Generationen wirklich Angst habe, sind einerseits die existenzbedrohenden wirtschaftlichen Folgen – und dies wiederum v.a. für die „kleinen Leute“. Das kann noch mit geballter Kraft auf uns zukommen und es ist nicht zu erwarten, dass Regierungen (wie unsere), die sich selbst angesichts der krassen wirtschaftlichen Nöte nicht zu einer Solidarleistung der Reichen durchringen können, diese Folgen sozial ausgeglichen und gerecht angehen werden. Das kann verbreitete Verarmungsprozesse und in der Folge verbitterte Protesthaltungen nach sich ziehen, die auch politisch-populistisch (noch mehr) ausgeschlachtet werden und zu schlimmen Radikalisierungen führen können.
Andererseits fürchte ich (auch als kulturskeptischer Psychoanalytiker), dass die Menschen noch immer zu wenig gelernt haben werden, dass die Pandemie auch etwas mit unserer global irregeleiteten Lebens- und Wirtschaftsweise zu tun hat, weshalb ja viel zu viele davon reden, nach alten Mustern alles „wieder hochfahren“ zu wollen. Dadurch werden Veränderungs- und Erneuerungspotenziale vertan. Hier gibt es eine strake Neigung zu rigider Wahrnehmungs- und Erkenntnisverweigerung, die u.a. auch ein Fall für die Psychologie ist.
Womit beschäftigen Sie sich momentan als emeritierter Professor?
Ich beschäftige mich durchaus aktiv nach wie vor mit meinen Spezialgebieten der Väter- und Männerforschung; Väter sowie Männer und ihre Probleme kommen in den zeitgenössischen, feministisch dominierten psychosozialen Diskursen oft zu kurz, was nicht zuletzt auch den Frauen – etwa auf dem Gebiet gewalthältiger Beziehungen zu Männern – schadet. Alles, was wir tun, um Männer besser zu verstehen und ihnen ihre patriarchale Rolle bewusst zu machen, führt zu Veränderungschancen hin zu einer anderen Männlichkeit und besseren Frau-Mann-Beziehungen.
Ich befasse mich mit einer Erweiterung psychotherapeutischer Praxis – auch der eigenen – um spirituelle (auch religiöse) und körperorientierte Aspekte. Immer häufiger treffen wir PatientInnen, bei denen weniger ein bestimmtes psychopathologisches Symptom im Vordergrund steht, als vielmehr Orientierungs- und Sinnfragen.
Und schließlich verfolge ich nach wie vor die neuesten Entwicklungen auf sexualwissenschaftlichem und –therapeutischem Gebiet – u.a. das Paradoxon, dass in einer angeblich ‚befreiten‘ und hochsexualisierten Zeit die Probleme zufriedenstellender Sexualität immer mehr werden. Das ist eine spannende Geschichte, hinter der auch viel Elend steckt
Wie kommen Sie mit der momentanen „Lock-down“ Situation zurecht? Hat sich Ihr Alltag verändert? Wenn ja, wie?
Für mich – auch als Hochrisikofall nach einer Vorerkrankung, der zur Vorsicht gezwungen ist – bedeuten die Lockdowns einerseits weniger Einschränkung in einem ohnehin eher zurückgezogenen Alltagsleben, andererseits fehlen mir die freundschaftlichen und kollegialen Treffen und Gespräche, die durch online-Verbindungen niemals zu ersetzen sind. Eine gewisse Monotonie schleicht sich somit ein, die die Sehnsucht nach einem Frühstück oder Essen mal woanders als zu Hause oder nach einer kleinen Reise sehr groß macht!
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